Kollektiv Herzgstrasse, Begehbare Malerei


Auf die Installation "Rhizom – Farbe im Souterrain" folgte im Herbst 1980 die Einladung des Kulturreferates der Landeshauptstadt München, die Ausstellungsräume im ehemaligen Fabrikgebäude der Lothringer Straße 13 für eine weitere Installation des Kollektiv Herzogstrasse zu nutzen. Diri, Heiko Herrmann, Armin Saub und Heinz Weld konnten hier ihre Vorstellungen von Malerei und Raum wesentlich erweitert ausbreiten. Der Titel der Installation 'Begehbare Malerei' deutet darauf hin, dass die Besucher in die Malerei und ihre Schichtungen hineingehen können, um mitten im 'Bauch der Malerei' den Malprozess aus unterschiedlichsten Perspektiven in seinen zeitlichen und räumlichen Dimensionen und Vernetzungen selbst zu erfahren. Ein solch offenes experimentelles Kunstwerk muss den Akt des Malens ins Dreidimensionale hineinführen, in die Realität der verlassenen Fabrikarchitektur, deren Strenge durch das Spiel mit Form- und Farberfindungen relativiert wird. Die Künstler arbeiteten mit bemalten hintereinander gehängten Folien, welche die einzelnen Malvorgänge auf der Fläche räumlich voneinander lösten und begehbar machten, so dass die zeitliche Dimension spürbar wurde. Bizarre Papierformen, Spiegelfolien, farbigen Schnüre, bemalte Balken und Latten rhythmisierten den Raum vor den großflächigen Leinwand- und Wandmalereien, aus denen dreidimensionale Formkomplexe abstürzten. In den Prozess dieser räumlichen Staffelungen wurden Formen der Alltagswelt wie Sicherungskästen, Kabel und Heizkörper, losgelöst von ihrer ursprünglichen Funktion als Gestaltungselemente einbezogen. Unter dem Glasdach der zentralen Fabrikhalle legten die Künstler einen dunkelblauen See an und stellten einige der bemalten 'Bildraumobjekte' hinein, um durch die Spiegelung der dreidimensionalen Malerei im Wasser und im Glasdach ihren illusionistischen, der zweidimensionalen Malerei ähnlichen Aspekt zu zeigen.



"Verschiedene Qualitäten von Raumerlebnissen begannen zu koexistieren. Architektur, Plastik und Malerei standen hier für unterschiedliche Medien, Beschäftigungen, Erlebnismöglichkeiten und gingen einen Erfahrungszusammenhang ein, der auf Gleichberechtigung der einzelnen Teile hinzielte. Funktion – psychisch verdehnt, konkrete Realität – Illusion, Positivform – Negativform schienen sich gegenseitig nötig zu haben, zu bedingen. Eine Verlängerung dieser Erlebnisse in Probleme urbaner Gestaltung, Architektur oder zwischenmenschlicher Bereiche könnte ein ebenso idealistisches wie nüchternes Korrektiv sein." (Armin Saub 1985) Die Vielgestaltigkeit der verschiedenen formalen und inhaltlichen Schwerpunkte der Installation ließ einen sehr dynamischen, barock anmutenden Raum entstehen, "ein Bildorganismus, der die Vielschichtigkeit der Eindrücke von dieser Welt improvisatorisch polyfokal beschwor." (Armin Saub 1985) 


Im Interview des Kollektiv Herzogstrasse mit Marie-José van de Loo und Selima Niggl am 5. Juli 2012 antwortete Armin Saub auf die Frage, was politisch sei an der Malerei des Kollektivs: "Kunst und Leben sollten sich durchdringen. Die 'Begehbare Malerei' zeigte das exemplarisch: Sie war interdisziplinär und öffnete sich nach allen Seiten, woher sie auch ihre Nahrung bezog. Bei der Finissage las der Lyriker Oliver Behnssen seine Gedichte, dazwischen Jazzmusik. Es wurde immer dunkler, kein elektrisches Licht in der Halle. Musik, Malerei und Plastik schwebten im Farbschein ineinander. Eine Metapher für Zusammenhänge, für sinnliche und reflexive Koexistenz. Das war und ist bis heute für mich politisch." (Van de Loo 2012, S. 14)


Fortgeführt wurden diese Installationen und Arbeitszusammenhänge auch nach der offiziellen Auflösung des Kollektiv Herzogstrasse 1982, mit den Bildseglern von Armin Saub und Heinz Weld, anfangs auch in Zusammenarbeit mit Heiko Herrmann, so bei der ersten Installation "Wetterbericht" 1983 im Alten Botanischen Garten in München – erstmals eine farbräumliche Gestaltung im urbanen Raum, ohne die Widerstände der Innenräume. 



(Zitate aus: Armin Saub, "Eine Kunstbaustelle im ehernen Zeitalter". Zu den Installationen des Kollektivs Herzogstrasse, in: COBRA, SPUR, WIR, GEFLECHT, Kollektiv HERZOGSTRASSE, Ausstellungskatalog Wasserburg am Inn, München, Bonn und Bremen 1983-85, hg. von Renate Bachmayer und Helmut Rieger, München 1984, ohne Seitenangaben; Marie-José van de Loo – Selima Niggl, Malen in der Gruppe – das KOLLEKTIV HERZOGSTRASSE 1975-1982, Galerie van de Loo Projekte, München 2012)